Herr Misak war ein großer Mann

Herr Misak war ein großer Mann

Herr Misak war ein großer Mann,
er stand im ‘Who ‘s who’,
am neunten Mai geschah es dann:
da schlug das Schicksal zu

In einem Etablissement
mit stundenweisen Betten
verschied er beim Amusement –
er war nicht mehr zu retten

Jemand versuchte Mund-zu-Mund,
er trotzte der Behandlung,
man karrte ihn wie einen Hund
vom schnöden Ort der Handlung

Die Zeitung ging nicht ins Detail,
man scheute den Skandal,
doch hinten, im Annoncenteil,
da stand er siebzehnmal

IG Metall und Deutsche Bank,
Betriebs- und Aufsichtsräte
beteuerten – nebst ihrem Dank –
wie leid es ihnen täte

Nach diesem tiefempfund’nen Leid
der offiziellen Gattung
erfuhr man auch noch Ort und Zeit
der kirchlichen Bestattung

Herr Misak wurde aufgebahrt,
man konnte ihn besuchen,
die Witwe, ziemlich blass und zart,
stand da mit Marmorkuchen –

Am zwölften Mai war es soweit:
man wählte die Garderoben,
die Luft war schwanger mit Geläut
und mit Kantatenproben

Man gab sich rasch den letzten Schliff,
fuhr vor mit viel Trara,
es füllte sich das Kirchenschiff –
Herr Misak war schon da

Ganz friedlich lag er, zugedeckt
mit teuerem Gedenken,
die Menge litt, den Hals gereckt,
auf ungewohnten Bänken

Der Herr Kaplan fing zögernd an,
er war etwas betreten,
Herr Misak war kein guter Mann,
so ließ er für ihn beten:

“Herr Jesus, der Du ihn gemacht
aus allzu schwachem Fleisch,
vergib ihm, denn in dunkler Nacht
war er nicht immer keusch”

Es folgte dann das Ritual
von Segnung und von Wandlung,
und ein erhebender Choral
beendete die Handlung

Anschließend ging ‘s zum Friedhof dann,
Mercedes auf Mercedes,
die Witwe folgte ihrem Mann
als erste und per pedes

Vor einem neuen, großen Loch
blieb der Geleitzug stehen,
man hielt die kleinen Kinder hoch,
die sollten auch was sehen

Es wimmelte von Prominenz
an diesem stillen Ort,
und irgendeine Eminenz
ergriff gerührt das Wort

Es war ein längerer Erguss,
es gab viel zu erwähnen
an Lobenswertem, und zum Schluss
verlor er sich in Tränen

Die Rede riss so manchen mit,
der auch sehr gern parliert,
so ward der Sünder Schritt für Schritt
zum Vorbild stilisiert

Herr Misak hätte laut gelacht,
hätt’ er noch lachen können,
er lag als Held im kühlen Schacht –
wir wollen es ihm gönnen

Wir fahren alle in die Gruft
mit manchmal argen Mängeln,
doch wenn uns unser Herrgott ruft –
dann werden wir zu Engeln.

 

 


 

Das Objekt

Es hing ein komisches Objekt
an unsrer Wäscheleine;
der Frieder hatte es entdeckt,
es hing so halb und halb versteckt
und hatte keine Beine

Es war’n auch keine Ärmel dran,
statt Knöpfen nur zwei Ösen,
mit kleinen Häkchen konnte man
es mühsam schließen und es dann
zum Glück auch wieder lösen

Auffällig war so eine Art
von spitzen Zwillingsmützen,
die waren innen ziemlich zart,
von außen aber höllisch hart,
als müssten sie was schützen

Kann sein, man trug das um den Hals,
es hatte nämlich Henkel,
die waren aber kleiner als -,
sie reichten grad gedehntenfalls
um unsre Burschenschenkel

Kurzum, das Ding war sehr suspekt,
im Zweifel sogar peinlich,
vielleicht hing ‘s deshalb so versteckt,
vielleicht entging uns ein Aspekt, –
das scheint mir fast wahrscheinlich.

 

 


 

Mary aus Londonderry

Wir hatten ein irisches Fräulein,
ein keuscheres hatten wir nie,
sie war aus Londonderry
und cool wie die irische sea

Sie nannte sich vornehm Miss Mary,
auf deutsch hieß sie Fräulein Marie,
mich nannte sie young Mister Harry,
denn Hermann war schwierig für sie

Als ich zehn war, verehrte ich Mary,
mit elf schon begehrte ich sie,
und an meinem zwölften Geburtstag
gelang mir der Trick mit dem Knie:

Es war am achtzehnten Oktober,
mein Vater besuchte uns nie,
meine Mutter besuchte ein Kino
und ich besuchte Marie

in unserer Dienstbotenkammer,
im Dachstock, da war ich noch nie,
ich klopfte erregt an die Tür und
come in! rief die keusche Marie

Excuse me, begann ich, Miss Mary,
I am grad gestürzt – oh, my Knie!,
das sollten Sie, please, einmal anseh’n,
denn schließlich weiß man ja nie

Oh dear!, rief sie, poor Mister Harry!,
denn Hermann war schwierig für sie,
sie führte mich zu ihrem Sofa,
und ich führte sie zu dem Knie

Sie prüfte vergeblich die Stelle,
sie freute sich etwas zu früh:
die Wurzel des Übels saß höher,
da freute sich jemand auf sie

Sie prüfte noch Wade und Schenkel,
ich roch schon das Haar von Marie,
sie dachte sich: sicher ist sicher,
und ich dachte: jetzt oder nie!

Ich zog sie zu mir auf das Sofa,
sie rief nur ganz schwach: Watch your Knie!,
ich zerrte an Schleifen und Knöpfen,
so gezittert hatt’ ich noch nie

Now stop this!, rief sie, Mister Harry,
denn Hermann war schwierig für sie,
I do want you too, und zwar very,
but I don’t know how – das heißt: wie

Da sagte ich: Oh, my dear Mary,
vielleicht – das heißt: maybe –
geht ‘s so wie in Londonderry,
let’s try and we shall see

Das war die Idee des Jahrhunderts,
ich war halt ein frühes Genie,
so wurde am achtzehnten zehnten
Miss Mary meine Marie.-

Epilog:

Sie fuhr bald zurück, unsre Mary,
nach Hause, nach Londonderry,
und dann kam ein Brief: My dear Harry,
I’m so happy with young Mister Larry!

 

 


 

So Kekse

Das war mit der Herta, im Hallenbad,
im Cannstatter Bad war das wohl:
Ich riech noch die Luft, so leicht stechend und fad,
wie so klebrig und gleichzeitig hohl

Ich muss mit ihr zu den Frauen mit rein
und die schauen mich alle so an;
wir machen uns klein und sie riegelt uns ein,
damit keine blind werden kann

Und nachher hat sie so Kekse dabei,
mit so Briefmarkenzähnen am Rand;
sie gibt mir zur Vorsicht gleich zwei oder drei
und dreht sich so gegen die Wand

Als erstes kommen die Eckzähne dran,
ich hab solchen Hunger und frier;
sie zieht sich solang unterm Badetuch an
und glaubt wohl, ich seh’ nichts von ihr

Und wie ich die Kekse fast fertig hab
und würg an dem pappigen Brei,
da rubbelt die Herta mich rundherum ab
und schaut so dreiviertel vorbei.

 

 


 

Das Mädchen meiner Träume

Heut’ sah ich es, das Mädchen meiner Träume
aus Fleisch und Blut, anmutig unterwegs,
ich sah es von weit hinten, durch die Bäume,
im alten Stadtpark, zwischen fünf und sechs

O dieses Meer von sommerblonden Locken,
o dieser Gang, so federleicht, so rein,
o diese Hüften, schmal wie Osterglocken,
das konnte ehrlich nur ein Engel sein

Ich fühlte schon die sehnsuchtsfeuchten Lippen,
den scheuen Mund, den Hauch von Wangenflaum,
das unbeschreiblich süße Brüstewippen
und den verheißend weichen Zwischenraum

Es drängte mich zu ihr, der Wunderbaren,
an ihr vorbei – da wurde offenbar,
dass dieses Wesen mit den Engelshaaren
aus nächster Nähe gar kein Mädchen war.

 

 


 

Hautkontakt

Es saß einmal ein junger Zeh
zu Füßen seines Herrn
im Heidelberger Schlosscafé
und hätte liebend gern …!

Schräg gegenüber saß das Bein
von einer jungen Dame
unsäglich fein lud es ihn ein
zur Hautkontaktaufnahme

Nur saß das Bein nicht ganz allein
o nein, es war liiert
und ziemlich eng und obendrein
recht kompliziert platziert

Nur Mut! Schon war er unbeschuht
der Zeh und sachte, sachte
besuchte er das Streichelgut
das glücklich ausgemachte

Er explorierte spielerisch
die kühle Fesselhaut
ein Lächeln kam vom Nebentisch
halb neckisch, halb vertraut

Die Wade hörte schier nicht auf
und war perfekt gedrechselt
fast hätte man den Hautverlauf
mit Seidenlack verwechselt

O süßer Lockruf des Geschlechts!
Der Zeh kam innig nach
bis ihn am Rand des Sitzgeflechts
ein böser Nagel stach –

Was setzt sich so ein junger Zeh
auch zwischen lauter Stühle!
Ein alter geht ins Stehcafé
und denkt sich die Gefühle.

 

 


 

Die Rokokokokotte

Getauft war sie Charlotte,
sie war eine Kanaille,
es schwärmte manche Motte
um ihre Wespentaille

In ihrer Liebesgrotte
aus lauter Alabaster
lud sie zum Lustkomplotte,
sprich: Laster gegen Zaster

Erst tanzte man Gavotte,
das war damals in Mode,
und einmal kam ein Schotte,
den tanzte sie zu Tode –

Man schuf sie zum Schafotte,
es gab ein Mordsgedränge!,
und kürzte flott die -lotte
um eine Haupteslänge

Der Priester, der bigotte,
der sie von früher schätzte,
sprach leise: “Buona notte”,
als man den Grabstein setzte

Drauf stand mit mildem Spotte:
“Hier ruht bei ihrem Gotte
in Scheiben die Char-lotte
die Ro-ko-ko-ko-kotte”.

 

 


 

Das Mogel-Ei

Es lag ein Ei in einem Nest,
ganz harmlos lag es da,
der Eiervater stand nicht fest,
nicht einmal die Mama

Es wärmte seine harte Haut
an seinen Nestkollegen,
die waren ähnlich rund gebaut
und hatten nichts dagegen

Der Ziehpapa hielt stolz den Fund
für legitimen Segen,
die falsche Mutti hielt den Mund
der lieben Nachbarn wegen

Für eine Zeitlang ging das gut,
das Mogel-Ei gedieh
fast besser als die echte Brut
dank stärkerer Chemie

Bald drangen durch die Eierwand
vitale Klopfsignale,
die Mutti hatte Sachverstand
und sprengte knacks! die Schale

Der kaum gebor’ne Sohn lief Sturm
und reklamierte laut,
prompt kriegte er den ersten Wurm,
fixfertig vorgekaut

Es kamen schließlich alle dran,
es wurde flott entbunden,
Papa flog Babynahrung an
in Überstunden-Runden

Er kämmte durch das Unterholz
noch spät im letzten Licht,
am Anfang tat er es mit Stolz,
dann wurde Stolz zur Pflicht

Allmählich wurde Pflicht zur Krux,
der eingeschleuste Sohn
war am gefräßigsten und wuchs
den anderen davon

Er fraß und wuchs, er wuchs und fraß
weit über Proportion,
ihm fehlte jedes Augenmaß
für seine Situation

Erregte sich die Konkurrenz,
wupp! flog sie über Bord,
die allerletzte Konsequenz
war kalter Vatermord –

Und die Moral, wenn ‘s das noch gibt,
ist eine radikale:
Wenn man dir Nachwuchs unterschiebt,
zerdrück ihn in der Schale!

 

 


 

Das Nashorn

Das Nashorn ist ein nützlicher Geselle,
fast ganz aus Leder, einschließlich Gesäß,
doch gegenüber der besagten Stelle
kommt erst das wichtigste: sein Horngenäs’

Das wird angeblich gerne eingenommen,
das lange, harte, stumpfe Wesensmal,
von wem und wie, erscheint mir zwar verschwommen,
ob nüchtern, ob oral oder rektal

Vielleicht wird es zuallererst zerkleinert,
vielleicht auch weichgekocht und kalt püriert,
vielleicht mit andern Sachen noch verfeinert,
vielleicht zu Schnee geschlagen und flambiert

Hauptsache ist, es dient dem Bettgeschehen,
sonst bräuchten wir das ganze Nashorn nicht,
die Erde würde sich auch ohne drehen
und ohne dieses Nasenhorn-Gedicht.

 

 


 

Der große Löwe

Man kannte ihn als ziemlich großen Löwen,
die Herkunft kannte keiner so genau,
sein erstes Geld entstand auf Schrottfriedhöfen,
das große im gemeinen Wohnungsbau

Er warb mit seinen Riesenländereien
und lieferte ein kleines Reihenhaus,
man munkelte von miesen Schwindeleien,
er lachte nur die dummen Laien aus –

Als die Geschäfte einmal nicht so liefen,
man sprach von einem Stau im Wohnungsbau,
vermachte er zur Vorsicht die Aktiven
der güterlich getrennten Ehefrau

So war bei ihm nicht eine Mark zu holen,
wenn ihn ein Gläubiger zur Kasse bat,
er jammerte, man habe ihn bestohlen,
was jemand in der Tat bald gründlich tat:

Jäh hatte sich das teure Weib gewandelt
und zeigte sich in einem neuen Fell:
sie hatte mit dem Fahrer angebandelt,
jetzt wollte sie die Scheidung, und zwar schnell!

Er widersetzte sich wohl ihrem Drängen,
doch mittels Geld und gutem Rechtsanwalt
blieb schließlich noch die Hauptschuld an ihm hängen,
der Richter strich ihm kalt den Unterhalt –

So blieb von einem einstmals großen Löwen
am Ende nur ein wütendes Gebrüll,
und er bewarb sich bei drei Schrottfriedhöfen
als Fachmann für gemeinen Wohnungsmüll.

 

 


 

Der Bandwurm

Ein Bandwurm saß von früh bis spät
im Dunkeln bei Null-null-Diät,
er zählte immer wieder
die Anzahl seiner Glieder

Von oben waren ‘s hundertzwei,
von unten waren ‘s hundertdrei,
er zählte und er zählte,
weil ihn der Zweifel quälte

Die Aussicht war ja auch beschränkt,
durch Biegungen noch eingeengt,
ihn deuchte, eine Leuchte
das wäre, was er bräuchte

Gelegentlich drang schwacher Schein
kurz in sein Labyrinth herein,
er kam vom fernen Ende,
so probte er die Wende

Er krümmte, bäumte, zwängte sich,
verwickelte, verrenkte sich,
am Ende war ‘s gelungen:
die Wende war vollbrungen!

Zwar war er aus dem Gleichgewicht,
kopfunter, doch mit dem Gesicht
nah der begehrten Stelle:
der Quelle jener Helle

Ein letzter Ruck, mit aller Kraft
stieß er sich ab, es war geschafft!
Mit ungesunder Schnelle
erreichte er die Schwelle:

Er glitt, er fiel in den Abort,
es rissen ihn die Strudel fort,
es war um ihn geschehen,
er ward nie mehr gesehen –

Ja, wenn ein Wurm sich so verzählt
und blind zu irren Lichtern quält,
kommt ‘s irgendwann zur Kühlung
durch eine kalte Spülung.

 

 


 

Der Bahnhofsmissionar

Er strich um den Bahnhof bei Wind und bei Wetter,
er hatte nur eine Passion:
er war der gerissenste Seelen-Erretter
der christlichen Bahnhofsmission.
Er drohte mit ewiger Hölle,
er lockte mit Absolution;
er war der gerissenste,
war der gerissenste
Retter der Bahnhofsmission

Er strich um den Bahnhof bei Regen und Sonne,
er hatte nur eins im Visier:
er trachtete nach der verruchten Yvonne,
der Schande fürs Bahnhofsquartier.
Er wollte sie endlich kurieren
von Laster und weltlicher Gier;
sie war die verruchteste,
war die verruchteste
Dame im Bahnhofsquartier

Er strich um den Bahnhof, er strich um Yvonne,
er gab sich ganz konventionell:
er bot ihr ein Stündchen voll himmlischer Wonne,
sie gingen ins Bahnhofshotel.
Er sprach ihr von Schuld und Erlösung,
Yvonne erlöste ihn schnell;
ach, war das ein himmlisches,
war das ein himmlisches
Stündchen im Bahnhofshotel!

 

 


 

Eis am Stiel

Das Leben ist ein Eis am Stiel,
schön rosarot verpackt;
vom Inhalt weißt du erst nicht viel,
denn nur der Stiel ist nackt

Du reißt voll Gier die Packung auf;
kaum fängst du an zu lutschen,
beginnt schon der Verfolgungslauf:
das Ding fängt an zu rutschen

Jetzt kannst du ‘s drehen, wie du willst;
so einfach ist die Chose:
was einmal angeschleckt ist, schmilzt
und tropft dir auf die Hose

Das Leben ist ein böses Spiel:
du kannst kein zweites kaufen;
am Ziel bleibt dir ein leerer Stiel –
der Rest ist weggelaufen

 

 


 

Windhundrennen

Irgendwer schwenkt einen Hasen
nahe genug vor den Nasen
und schon stürzt sich die Meute
manchmal sind es auch Leute
blind hinterher

Wären sie klüger, die Hunde
sparten sie sich eine Runde
und sie wären dem Hasen
plötzlich um einige Nasen-
längen voraus

 


 

Marianne in der Badewanne

Sie lag bei achtunddreißig Grad
allein in ihrer Wanne,
sie liebte dieses Samstagsbad
und sie hieß Marianne

Sie seifte ihren reifen Leib
bis zu den heiklen Stellen
und schlug mit diesem Zeitvertreib
schon ziemlich hohe Wellen

Da waren Schritte auf dem Flur
– eindeutig Männerschritte! -,
es stritten Scham und die Natur
in ihrer holden Mitte

Sie sah sich jäh im Angesicht
des schlimmsten der Konflikte:
sie wollte – und sie wollte nicht,
dass er sie nackt erblickte

Sie strampelte, sie schlug und trat
im Unterwasserraum,
ihr Körper war als Resultat
nur noch ein Traum aus Schaum

Kaum hörte sie zu strampeln auf,
zerschmolz der weiße Schild,
das nahm sie lieber nicht in Kauf,
sie strampelte wie wild

Sie strampelte den ganzen Tag,
ließ heißes Wasser nach,
damit sie nicht im Kalten lag,
und machte sich ganz flach

Nach Mitternacht schlug eine Tür,
gottlob!, das hieß Entwarnung,
sie stoppte ihre Strampelkür
und wagte die Enttarnung

Sie beugte sich nach vorn und zog
die Ablaufstöpselkette,
und spürte einen starken Sog
zum Fuß der Badestätte

Der Schaum verschwand im Röhrenschlund,
leer war die Badewanne,
ein Kopf lag staunend auf dem Grund:
der Kopf von Marianne

 

 


 

Kater Kasimir

Sie lebte ruhig und zurückgezogen
mit ihrem weißen Kater Kasimir,
die Jugend war an ihr vorbeigeflogen,
so schlief sie halt allein – und er mit ihr

So weit so gut, doch außer ihrem Kater
empfing sie, wie der Anstand es befahl,
von Zeit zu Zeit den Herrn Gemeindepater,
und einmal teilten sie das Abendmahl

Er würzte es mit schönen Bibelstellen,
zum Nachtisch brachte er das Hohelied –
und siehe, ihre schwachen Körperzellen
verspürten freudig einen Unterschied

Er machte sich galant an ihr zu schaffen,
die schmale Hand verschwand in ihrem Kleid –
der Kater hasste diesen schwarzen Affen,
in seinen Augen stand der gelbe Neid

Mehr aus Instinkt als leidiger Erfahrung
erkannte der gewiefte Kasimir:
das lief hinaus auf eine Offenbarung
und einen Kampf ums weiche Nachtquartier –

Wie ‘s wirklich kam, wird hier nicht ausgesprochen,
es wurde auch vergessen mit der Zeit,
wir wissen lediglich, nach ein paar Wochen
war offenbar: sie war gebenedeit

Ein Weilchen hoffte sie noch auf ein Wunder,
doch die Symptome stimmten zu genau:
sie fühlte sich zur Mitte etwas runder
und morgens vor dem Frühstück etwas flau –

Nun wüsste man schon gern: wer ist der Vater,
wer hat ihr die Bescherung eingebrockt?
War es der Pater – oder war ‘s der Kater!,
wer hat am Ende wen wohin gelockt?

Die Ungewissheit währte bis zum Tage,
an dem die Sündenfrucht herangereift,
dann stand die Antwort leider außer Frage:
das kleine Luder war schwarz-weiß gestreift

 

 


 

Bellende Gesellen

Wir haben ‘s gut, wir haben starke Beine,
wir sind noch nicht vom Autofahren krumm,
wir führen unsre Herrchen an der Leine,
die glauben zwar, es wäre andersrum

Wir suchen den Kontakt zu den Genossen,
auf die Gefahr, dass einer uns mal beißt;
ist das nicht besser, als man lebt verschlossen
und weiß nicht einmal, wie der Nachbar heißt?

Schau sie doch an, die Er-chen und die Sie-chen,
im Café hockend, peinlich auf Distanz;
die dürfen sich ja nicht einmal beriechen
und ordentlich bewedeln mit dem Schwanz!

Wir haben ‘s gut, wir bellenden Gesellen,
wir tragen keinen Maulkorb im Gesicht;
uns sagen keine offiziellen Stellen:
Das darfst du, Freundchen, und das darfst du nicht

Wir folgen auch nicht dummen Werbesprüchen,
die uns erzählen, was man kaufen muss;
wir folgen mit der Nase den Gerüchen,
wir wissen, was wir wollen – Punkt und Schluss!

Mach ‘s doch wie wir, die bellenden Gesellen,
und leb’ ein bisschen so wie ‘s dir beliebt,
du musst dich bloß auf deine Beine stellen
und mal eins heben, wenn es sich ergibt

 

 


 

Der Spekulant

Mein Onkel war ein Spekulant,
er liebte Wertpapiere,
er kannte ihren Tagesstand
in Dollar, Yen und Lire

Er schrieb die tägliche Tendenz
in eine kleine Kladde
und prüfte mittels Charts und Trends,
ob er gewonnen hatte

An Tagen, wo die Sonne schien
an seinem Börsenhimmel,
ich weiß noch gut, da sah man ihn
mit einem Gläschen Kümmel

Doch regnete es dann und wann,
kam es zu Sturm und Frösten,
dann musste sich der arme Mann
mit einem zweiten trösten

Das Wetter war wohl meistens gut,
sein Glasschrank niemals leer,
laut seinem kleinen Konvolut
starb er als Millionär –

Es kam zur Nachlassinventur,
und statt der Francs und Gulden
bestand die ganze Erbschaft nur
aus Spirituosenschulden

Mein Onkel war wohl ein Genie
mit seinen Wertpapieren,
denn wirklich kaufen tat er nie:
man könnte ja verlieren –

Inzwischen ist der brave Mann
schon lange Zeit im Himmel,
ich hoffe nur, so sehr ich kann,
es gibt dort guten Kümmel.

 

 


 

Die Erbtante

Man schätzte sie – auf drei bis vier Millionen,
ihr großer Stil bewies: sie war betucht;
der Erbfall nahte und versprach zu lohnen,
sie war geliebt, gelobt und hintenrum verflucht

Man prüfte telefonisch ihr Befinden,
man schickte liebe Grüße aus Berlin,
man fuhr mit Kindern und mit Angebinden
so oft wie ungern zu der Tante hin

Nie musste sie nach etwas zweimal fragen,
kein Ehrentag ging unbeschenkt vorbei,
auf deutsch: sie war in ihren alten Tagen
umsorgter als ein frisches Hühnerei –

Hier sollten wir den Neffen Karl erwähnen,
der seine Sorge zweifelsfrei bewies,
indem er unter beinah echten Tränen
die Arme in ein teures Heim verwies

Hans-Günther hoffte gleichfalls auf Belohnung
und Änderung des alten Testaments,
er holte sie zurück in seine Wohnung
und bot ihr eine frohe Existenz

Aufgrund beziehungsweise trotz der Pflege,
geschah indes nicht das, was angestrebt:
die Tante, unerwartet zäh und rege,
hat ihre ganze Sippschaft überlebt

Und selbst der Fiskus sollte sich nicht freuen:
bei ihrem Tod bekam er keine Mark;
ihr Sparschwein reichte knapp für einen neuen,
auf Maß gemachten schlichten Fichtensarg –

Die liebevoll umschlichenen Millionen
die findet wer von euch vielleicht einmal;
beim Erben gibt es manchmal Illusionen
und Unmoral, so lautet die Moral.

 

 


 

Eine kleine graue Strähne

Mitten im Geputz der Zähne
streift das kalte Neonlicht
plötzlich eine graue Strähne –
gestern gab es sie noch nicht

Bist du auch nur mäßig eitel
– und das sind wir allgemein -,
widmest du dich deinem Scheitel,
lässt die Zähne Zähne sein

Hastig prüfen deine Hände
das Gelände überm Ohr,
denn du ahnst: das ist die Wende,
und du hattest noch viel vor

In Ermangelung von Tönern
hilft dir jetzt nur Phantasie,
und so gehst du ans Verschönern
mit Genie und Akribie:

Du beginnst, an dir zu zupfen,
und schon bist du mittendrin,
ganze Büschel auszurupfen –
deine Stimmung ist dahin

In Befürchtung kahler Flecken
fragst du, ob ‘s nicht klüger wär’,
das Ergraute zu verstecken
unter einem Lockenmeer

Du fängst an, wie wild zu kämmen,
vorwärts, rückwärts, hin und her,
um den Schaden einzudämmen,
denn dein Ego leidet sehr

Mit beschwerlichen Gebärden
wird die Wolle hochgesteckt,
und du glaubst, das Älterwerden
sei erfolgreich zugedeckt

Kaum hast du die hohe Mähne
fingerdick mit Lack besprüht,
zeigt sich eine zweite Strähne! –
deine Freude war verfrüht

Warst du eben noch beflügelt
durch die kühne Kräuselpracht,
hastig wird sie glattgebügelt,
eisern zur Räson gebracht

Keine Locke findet Gnade,
jede Nachsicht ist dir fremd,
jetzt wird alles schnurgerade
und mit Nadeln festgeklemmt

Nichts mehr, was sich jetzt noch wellte,
keine Strähne schaut heraus;
dein Gesicht, in strenger Kälte,
sieht zehn Jahre älter aus –

Eine kleine graue Strähne
sieht man oder sieht man nicht;
putz dir also deine Zähne
lieber nicht bei Neonlicht.

 

 


 

Theaterabend

Du denkst, du hast den Tag geschafft
nach dreizehn Stunden Trab,
du fährst nach Haus mit letzter Kraft
und schaltest langsam ab

Du möchtest raus, in die Natur,
in deinen schönen Garten,
da überfällt man dich im Flur:
man hat Theaterkarten!

Die Zeit ist knapp, doch Gott sei Dank!
ist alles präpariert:
dein guter Anzug hängt am Schrank,
auf Schuppen kontrolliert

Du müsstest dringend erst wohin,
die Bäder sind blockiert:
im einen schabt dein Sohn sein Kinn,
im andern wird frisiert

Madame ist schon in voller Fahrt
und duftet wie der Flieder,
sie trägt, denn sie hat Lebensart,
ihr vorteilhaftes Mieder

Sie treibt zu höchster Eile an,
ein Schuh drückt eine Zehe,
sie hofft, dass man noch parken kann
in der Theaternähe

Dreiviertel acht! Verspätung droht,
man wirft sich in den Wagen,
du fährst bei gelb, Madame sieht rot –
und das auf leeren Magen

Der letzte Platz ist voll geparkt,
klar bist du schuld daran,
fast käme man beim Herzinfarkt
statt beim Theater an –

Im Vestibül wird ‘s kulturell,
Madame ist kaum zu zügeln:
fast echtes Leopardenfell
drängt zu den Kleiderbügeln

Natürlich kaufst du ein Programm,
mit Rücksicht auf die Damen
und Aussicht auf Persianerlamm-
und ähnliche Reklamen –

Gespannte Andacht stellt sich ein,
sobald die Loge schließt,
man ist ja gern für sich allein,
wenn man Kultur genießt

Das Opernglas wird stark gebraucht
und ins Parkett gerichtet,
so wird, eh’ man ins Dunkel taucht,
die Prominenz gesichtet

Das Licht erlischt zum ersten Akt,
schwupp! geht der Vorhang hoch,
das Aktbild ist ein bisschen nackt, –
vielleicht belebt sich ‘s noch

Da sitzt ein Fisch an einem Tisch
und sieht in Farbe fern,
dein Magen knurrt ganz mörderisch,
das Stück ist sehr modern

Die Tochter schlägt Bein über Bein,
dein Sohn boxt dich im Rücken,
es könnte gar nicht schöner sein!,
Madame verströmt Entzücken

Sie legt sich schwer auf deinen Arm,
der dadurch mitvibriert,
zur Pause wird ihr etwas warm,
sie fühlt sich inspiriert

Der Vorhang fällt zum ersten Mal,
ach, es ist wunderbar!,
es drängt dich in den Rauchersaal,
man drängt dich an die Bar

Du kämpfst dich mannhaft durch die Flut,
kein Griff ist hier tabu,
von Ferne ruft dir deine Brut
noch Korrekturen zu

Statt Cola Bier! Kein Sekt – zwei Wein! –
das wird im Geist notiert,
mein Gott, hast du ein Riesenschwein,
denn ihr seid nur zu viert!

Gerade kurz vor deiner Tour
ist jedes Glas verbraucht,
für nichts die ganze Prozedur! –
du hätt’st so gern geraucht

Du kehrst schon um, ein kurzer Blick
voll ehelicher Strenge
ruft dich zu deiner Pflicht zurück,
du fühlst dich in der Enge

Die Not lehrt dich den alten Trick,
erlaubt sei die Enthüllung:
kommt ein gebrauchtes Glas zurück,
reicht man ‘s zu neuer Füllung

Klebrig bepackt, Kleingeld im Mund,
beim letzten Klingelzeichen
kannst du dem fast verdorrten Rund
die Köstlichkeiten reichen

Man trinkt, und weil das Licht erlischt,
geht ‘s im Galopp zurück,
man ist programmgemäß erfrischt,
und weiter geht das Stück:

Da ist der Tisch, doch ohne Fisch,
den hat wohl wer vergessen,
vielleicht bedeutet ‘s: wer bei Tisch
-e fernsieht, wird gefressen

Man freut sich, wenn der Vorhang fällt,
und spendet gern Applaus,
man hat die Akte mitgezählt
und weiß: jetzt ist es aus

Das Stück war irre engagiert,
die Jugend jubiliert,
Madame ist mächtig motiviert,
du fühlst dich angeschmiert

Doch hast du deine Pflicht erfüllt
als Gatte und als Vater,
und bleibt der Sinn dir auch verhüllt: –
geh öfter ins Theater!

 

 


 

Fernsehspot

Man ahnt ein Zimmer, morgenlichtdurchflutet,
ein weiches Wehen bläht den Vorhangtüll,
man weiß es nicht genau, doch man vermutet:
hier präpariert sich heimlich ein Idyll

Ein Wesen wie ein Engel schwebt auf schlanken,
beschwingten Beinen vor das Lichtquadrat,
es löst sich lächelnd von den Nachtgedanken
und macht sich für den neuen Tag parat

Die Sonnenfinger zeichnen seine zarten
Konturen durch das dünne Kräuseltuch,
die nächste Szene kann man kaum erwarten
und wäre gern persönlich zu Besuch

Die Linse streift das reife Knospenpärchen,
es hebt sich sehnend in das linde Licht,
dann fährt sie tiefer und zeigt kleine Härchen –
die Stelle, wo sie wachsen, zeigt sie nicht

Gleich kommt es zur Enthüllung, will man meinen,
und richtig folgt ein fast frivoler Schnitt:
zwei Finger blättern Wachs von blassen Beinen,
und all die kleinen Härchen kommen mit.

 

 


 

Früh übt sich

Die kleine Moni war ja nicht gerade
ein Sauertopf – und auch kein Trauerkloß,
mit zwölfeinhalb betrat sie krumme Pfade
und wurde ihre Jugendtugend los

Sie spielte lieber die Erwachs’nenspiele,
die waren spannender für ihr Gefühl,
doch haben diese manchmal ernste Ziele,
und diese zog sie nicht in ihr Kalkül

Was sie im dunklen Kämmerlein verbrochen,
kam leider dadurch an den hellen Tag,
dass sie nach allzu kurzen Wonnewochen
der altbekannten Übelkeit erlag

Die Mutter ahnte eine schwache Rundung,
noch ehe jene auszumachen war,
und schickte sie, zum Zwecke der Gesundung,
in eine Klinik bei Bad Neuenahr

Im Nu war Monis Missgeschick behoben,
sie kehrte heim und war nicht mehr zu zweit:
ein Teil von ihr war bei den Englein droben,
der andere zu neuem Tun bereit.

 

 


 

Herr Bastian von nebenan

Herr Bastian von nebenan
erscheint mir oft im Schlummer,
er schaut mich so tieftraurig an,
ich glaube, er hat Kummer

Er ist mit niemandem bekannt,
er singt sich selber vor,
man hört ihn abends durch die Wand:
ich tippe auf Tenor

Es hört sich melancholisch an,
was er so von sich gibt,
vermutlich ist Herr Bastian
in ein Phantom verliebt –

Muss man denn nicht, als guter Christ,
so schlimmen Kummer teilen?
Vielleicht, wenn es nichts weiter ist,
kann ich ihn sogar heilen

Ich werde jetzt mal rübergeh’n
und sehen, was ihm fehlt,
da kann man doch nicht drübersteh’n,
wenn einer sich so quält

Vielleicht erwartet er mich gar,
vielleicht – warum denn nicht? -,
ich denke mir das wunderbar,
mit ihm, bei Kerzenlicht

Ich bin ein bisschen wirr im Kopf,
mein Herz ist voll Gebummer,
ich drück’ auf seinen Klingelknopf,
ganz leis’ ertönt ein Summer

Das leise Summen steigert sich
zum scheppernden Gemecker,
und – noch im Halbschlaf haue ich
auf meinen blöden Wecker.

 

 


 

Zürich Bahnhofstraße

Er zählte zu den wirklich großen Bossen,
das merkte man an seiner Sparsamkeit,
er achtete die Schweizer Eidgenossen,
ihr Feingefühl für Geld und Sicherheit

Er sparte emsig und an allen Ecken
für einen sorgenfreien Ruhestand,
mit dem Finanzamt spielte er Verstecken,
weil er die Steuerlast sehr lästig fand

Am meisten hasste er die Gier der Seinen,
die wiederum beklagten seinen Geiz,
mit einem Koffer voll gebrauchten Scheinen
beschloss er eine Reise in die Schweiz

Die hübsche Sekretärin, die er hatte,
bezog er in die Reiseplanung ein,
er galt zwar allgemein als guter Gatte,
doch darf man auch nicht allzu päpstlich sein

Besagte Dame buchte den diskreten
Zweitageflug ins schöne Nachbarland,
für zwei Personen und für die Moneten,
wovon natürlich nichts im Flugschein stand

In Zürich fuhr man erst zur Bahnhofstraße,
entledigte sich rasch der schweren Pflicht –
er spannte schon auf ihre Körpermaße,
die Netto-Werte kannte er noch nicht

Im Hotel Dolder galt sie klarerweise
als seine Gattin, denn hier zählt der Schein,
im Zimmer kam ‘s zum zweiten Akt der Reise,
er leitete ihn unverzüglich ein

Die falsche Gattin war mit der Liebkosung
im Grunde einverstanden, doch zuvor
verlangte sie den Schlüssel und die Losung,
sonst gab es keinen Zugang zum Tresor

Wie ‘s weiterging, verschweigen die Gazetten,
so dass man keine Einzelheiten kennt,
man weiß nur von zerwühlten Federbetten
und einem Unfall – bleiben wir dezent

Vor Tau und Tag passierte eine bleiche,
verstörte Dame rasch die Rezeption,
beim Bettenmachen fand man eine Leiche,
das Zimmermädchen rief die Direktion

Zum Glück war dieser Fall schon vorgekommen,
man kannte sich in der Behandlung aus:
der tote Gast, der gestern noch willkommen,
verließ per Lastaufzug das noble Haus

Die junge Dame eilte unterdessen
in Richtung Bahnhofstraße, zum Tresor,
doch hatte sie das Codewort vergessen,
in solchem Zustand kommt das leider vor

Sie bettelte und flehte, doch vergebens,
man zuckte nur die Achseln allerseits,
sie machte die Erfahrung ihres Lebens: –
dein Geld ist wirklich sicher in der Schweiz.

 

 


 

Mein Chef der heißt Herr Ferdinand

Mein Chef der heißt Herr Ferdinand,
er züchtet kleine Mäuse,
er nimmt sie zärtlich in die Hand
und öffnet ihr Gehäuse

Das macht er so geschickt und schnell,
die Mäuse spüren ‘s nicht,
dann legt er sie auf ein Gestell
bei dämmerigem Licht

Er kitzelt sie mit einem Stift,
er spielt mit Nervenreizen;
das ist für Mäuse scheinbar Gift,
man sieht, wie sie sich spreizen

Ach Ferdinand, mein Ferdinand,
was denkst du nur an Mäuse,
nimm mich doch einmal bei der Hand
und öffne mein Gehäuse!

 

 


 

Marlenes Nase

Marlene kam in ihre eitle Phase
und stellte plötzlich mit Entsetzen fest:
sie hatte eine viel zu große Nase,
gemessen an dem eher kleinen Rest

Das Missverhältnis wurde immer schlimmer,
je mehr sie wuchs und sonst ganz gut gedieh,
sie saß und las in ihrem Mädchenzimmer
Artikel über Nasenchirurgie

In einer fast seriösen Frauenzeitung
erfuhr sie Schnitt für Schnitt das Wo und Wie,
es taugte leider nicht als Selbstanleitung:
der wunde Punkt war die Anästhesie

So fing Marlene eifrig an zu sparen,
denn fremde Arbeit gibt ‘s nur gegen Geld,
den Taschenlohn und was man mit den Jahren
von seinen lieben Paten so erhält

Das Sparschwein füllte sich und unterdessen
– sie konnte ihre Nase nicht mehr seh’n! –
begann die Jagd nach passenden Adressen,
im Telefonbuch fand sie über zehn

Bei einer der genannten stand in Klammern:
“Verkleinern ambulant, Erfolg garant.,
zahlreiche Ref., Mitglied in allen Kammern”,
hier machte sie ein Häkchen an den Rand

Sie brauchte kein Hotel für ihre Nase,
es reichte doch, sie wurde kurz halbiert,
so sparte sie die halbe Ansparphase,
sie rief gleich an und wurde gern notiert –

Am Tag des Eingriffs blieb sie morgens nüchtern
und wusch die Nase umso mehr dafür,
sie war erregt und außerdem so schüchtern:
sie klopfte kleinlaut an die Fahrstuhltür

Das Wartezimmer wimmelte von Nasen,
in einer Nasenpraxis lag das auf der Hand,
von echten, die in alten Heften lasen,
und schönen als Reklame an der Wand

Marlenes Nase kam an letzter Stelle
der morgendlichen Ordination,
sie überschritt gefasst die Praxisschwelle,
man könnte sagen: ihren Rubikon

Der Mann, der sie empfing, war Mediziner,
ihn reizte nur das hohe Honorar,
beim Fenster saß ein fetter Bernhardiner,
den reizte ihre Nase offenbar

Sie sah ihn zähnefletschend näher kriechen,
das lange Ding erregte ihn enorm,
sie konnte schon den heißen Atem riechen –
dann roch sie plötzlich nur noch Chloroform –

Sie war schon sehr gespannt auf ihr Erwachen,
die neue Nase, zierlich abgekürzt, –
als es soweit war, gab es nichts zu lachen,
im Gegenteil: Marlene war bestürzt!

Der erste Blick in ihren Taschenspiegel
bestätigte, was sie schon angefasst:
da war nur noch ein furchtbar flacher Hügel,
bestehend aus drei Lagen Leukoplast

Sie fühlte sich verraten und vergessen,
sie war mit sich allein, das heißt, nicht ganz: –
da war der Hund, er hatte gut gefressen
und wedelte zufrieden mit dem Schwanz.

 

 


 

Sonntagmorgen

(frei nach Erich Kästner)

Die Sonne spitzt ins Schoppenglas,
der Wind schont sein Gebläse,
ein Krabbelkäfer freut sich was
und knistert im Gegräse

Der Zwiebelturm weiß, was er soll:
in seinem Überschwange
nimmt er die dicken Backen voll
und läutet ziemlich lange

 

 


 

Nachthimmel

Die Nacht ist schwarz wie frisch geteert
der Mond hängt im hintersten Drittel
ganz schmal und fahl und in sich gekehrt
er träumt von Silberputzmittel

Quer drüber spannt sich ein fernes Band
von winzigkleinen Laternen
ein Englein blinzelt am Straßenrand
es winkt den schnuppernden Sternen

 

 


 

Frühlingserwachen

Kaum wärmt sich die Umgebungsluft,
reibt sich der Mensch die Hände,
froh steigt er aus der Wintergruft
der stickigen vier Wände

Flugs wird die Frühlingskluft entmufft,
er strebt in das Gelände,
es lockt der linde Maienduft –
wenn sich noch welcher fände!

Denn überall und unverhufft
– was ist das eine Schände! –
weht weiter nichts als Auspuffduft
um seine Nasenwände

Darf es denn sein, dass jeder Schuft
die Luft mit seinem Rohr verpufft?
Wo bleiben die Verstände
der Kfz-Verbände?!

 

 


 

Sehnlichster Wunsch

Seh’ ich sie wieder, diese satten Matten,
randvoll mit Frühling, grün-und-gold besonnt,
lieblich garniert mit rosa Wölkchenschatten
und etwas Silberfirn am Horizont –

seh’ ich die prallen Stängel, all die jungen,
von Wegerich und Mohn und Frauenschuh,
dann wünschte ich, ich hätte tausend Zungen
und wäre eine wunderhübsche, süße –
kleine lila Kuh

 

 


 

Vorsicht, Seide!

Hier geht es um ein Souvenir
und um ein süßes Katzentier,
den Liebling der Familie;
sie hieß Ottilie

Sie war unendlich schwarz und weich
von Kopf bis Pfoten, alles gleich,
bis auf die Zehenballen:
die hatten Krallen

An einem schönen Tag im Mai,
warum und wie ist einerlei,
war sie für ein paar Stunden
im Haus verschwunden

Sie steckte unter keinem Bett,
sie saß im Kleiderkabinett,
wo unter andern Dingen
Krawatten hingen

Ottilie war fasziniert:
sie hingen hoch und streng sortiert;
wie konnte sie die Schlingen
zum Schwingen bringen?

Sie duckte sich, sie holte Schwung,
und bebte schon beim ersten Sprung
bis in die Eingeweide:
Die reinste Seide!

Zum Unglück war die edle Pracht
nicht für Ottilie gemacht:
ein Fädelchen blieb hängen
in ihren Fängen

Nach dem geglückten Probelauf
sprang sie noch hundertmal hinauf,
bis sie aus weichster Watte
ein Nestchen hatte –

Man fand Ottilie, Gott sei Dank!,
zuletzt in Vaters Kleiderschrank;
dann sah man mit Entsetzen:
Ein Meer von Fetzen!

Worauf mein Vater tags danach
und voller Zorn ein Machtwort sprach,
zum Kummer der Familie:
„Fort mit Ottilie!“

Jetzt übt sie traurig irgendwo
in einem Zirkus oder so
mit Handschuh’n an den Pfoten
Krawatten knoten

 

 


 

Mein Flügel steht beim Spediteur

Mein Flügel steht beim Spediteur,
stumm rasten seine Tasten;
mein Nachbar, ein Herr Ingenieur,
Verzeihung: Oberingenieur,
der hasste diesen Kasten

Mein Flügel steht beim Spediteur,
der böse Fernsehstörer;
er liebt das traute Interieur,
samt Staub und Zug und Zubehör:
hier stören keine Hörer

Mein Flügel steht beim Spediteur
und träumt von einer Reise,
nach Helsing- oder Wyk auf Föhr,
das passt so schön zu Ingenieur
und gibt ‘s containerweise

Mein Flügel steht beim Spediteur;
Bach geht auch elektronisch
mit Keyboard und mit Kopfgehör,
das klingt für einen Connaisseur
fast täuschend telefonisch

Ach, wär’ ich doch ein Spediteur,
was wär’ ich reich und dick!
Dann wär’ ich nämlich, o Bonheur,
das kulturelle Nadelöhr
in eurer
…-republik.

 

 


 

Zum Glück

Niemand ist heute gekommen
und niemand hat telefoniert
da hab’ ich mich schließlich genommen
und kurzerhand selber verführt

zu einem Stück Stachelbeertorte
und Kaffee mit Sahne wie du
ersann ich die süßesten Worte
und hörte mir andächtig zu

Ich schmiegte mich mir zwischen Wange
und Schulter mein Herz wurde klein
und weinte sehr heiß und sehr lange
voll Mitgefühl in sich hinein

Zum Glück ist niemand gekommen
und niemand hat telefoniert:
Wer hätte mich ernster genommen
und süßer mit Sahne beschmiert?