Zu zweit – und so allein

Bericht von der Front

Sonntag und beide Parteien
Zähne putzend im Bad
Rot pocht auf Picknick im Freien
Blau steht auf Ausflug zu Rad

Notausgang schäumend gefunden:
Picknick tschu tschweit und tschu Rad
beinahe droht für Sekunden
Westfälischer Friede im Bad

Neue Gebiets-Rangeleien
Gott sei Dank! und gekonnt
schleichen sich beide Parteien
an die bewehrteste Front:

Rot greift an und erreicht die
Zahnpastatube die ach-
tlos benutzte und streicht sie
mit dem Bürstenstiel flach

Blau sieht rot und besagte
Tube wird so wie gesollt
auf eine kragengewagte
Weise zur Schnecke gerollt

Das ärgert Rot dem im Hagel
von Finten folgendes glückt:
Schneckending wird mit dem Nagel
zu Mus oder sonst was zerdrückt

Was wieder Blau und geheilig-
te Ordnungsprinzipien verletzt
so wird ’s Geschändete eilig
wieder in Rollform versetzt

Rot walzt darauf den umstritte-
nen Gegenstand endgültig platt
selbiger platzt in der Mitte
alles voll Krem – und schachmatt

Mulmige Magengruben
ewig entgangener Sieg –
Es lebe der Zahnpastatuben-
einrolloderplattdrückekrieg!

 

 


 

Unerhört zärtlich

Neben dir grübelnd im Dunkeln allein
zerbohrt von den Würmern der Zeit
fällt mir was unerhört Zärtliches ein
mit Aussicht auf Ewigkeit

Schon stiehlt sich die Hand unterm Bettlaken fort
schon legt sich der Daumen auf “On” –
so fliegt mir das unerhört zärtliche Wort
nicht uneingemottet davon

 

 


 

Für die Dame

Für die Dame
bitte ein Kuscheltier
mit Aufziehmusik je nachdem
das tanzt oder kuscht oder
Männchen macht und
bequem vor allem
bequem soll es sein

wenn man ‘s ausrollt um
die eins achtzig groß und
beim Zusammendrücken
da geht nichts los
die Dame will bloß
zehn warme Finger
im Rücken

 

 


 

Patience

Karo neun auf die zehn
und die sechssiebenacht drauf
da sind wir nicht kleinlich
und jetzt die Herz Dame
unter den Buben aber sicher
wenn nirgends was frei ist und
der Esel von König nicht kommt
und nicht kommt und der
Bub so schön daliegt ich bitt’ Sie
da mogelt doch jede
Herz Dame mit Herz

 

 


 

Deine letzten Zeichen

Da stehen sie noch, deine letzten Zeichen,
mit Lippenstift am Spiegel, kaum verwischt,
ich habe sie, damit sie nicht verbleichen,
verzeih mir, heimlich etwas aufgefrischt

Ich möchte mich den ganzen Tag rasieren
und ganz in deiner fernen Nähe sein,
ich könnte manchmal den Verstand verlieren,
denn ohne dich bin ich verdammt allein

Die Putzfrau kommt mir nicht ins Badezimmer,
mein Spiegel soll so bleiben, wie er ist,
so bleibt mir noch ein kleiner Hoffnungsschimmer,
dass du nur kurz mal weggegangen bist

 

 


 

Wär’ es möglich

Wenn mir morgen im Kreuz
ein Joystick wächst
aus der Brust ein Bild-
schirm und Laut-
sprecher an den Gelenken –
wär’ es möglich
du schaust einmal
wieder vorbei und
spielst mit mir

Schiffe Versenken?

 

 


 

Alles wieder neu

Komm wir spielen „Wieder Mai“
Sonne überm Garten
alles wieder neu juchhei
kann es kaum erwarten

Du bist neu und ich bin neu
wirfst mir einen Knochen
Knochen scheint auch einwandfrei
wird rundum berochen

angenagt und dann geschwind
hinterm Haus vergraben
wo die alten sind, die wir
nie be-graben haben

 

 


 

Kalte Platte

Ich wollte sie auf meinen Couchtisch betten
nichts drunter freilich sondern ganz direkt
garniert mit Kerzenschimmer Zigaretten
und einem rosa Schuh voll Pfirsichsekt

Ich wollte sie auf meinen Couchtisch betten
mal sehen wie sich Haut mit Glas verträgt
und Haut mit Haut und Glas ich mochte wetten
dass sich die Platte beim Kontakt beschlägt

Ich wollte sie auf meinen Couchtisch betten
einfach mal fühlen was man da so fühlt:
Kein Sekt mehr da und keine Zigaretten
die Sache endete wie soll ich sagen
spürbar unterkühlt

 

 


 

Lacht nur

Wenn ich
allein bin dann
nehm ich mich selbst
bei der Hand und zeig mir
den Abendhimmel den Großen
Bären den Schwan die Jungfrau ja –
lacht nur ich schnapp mir nämlich
den Mond schwing mich drauf
halt mich fest an ihm fest und
sichle mit ihm alles kahl
ratzekahl bis die Erde
sich schämt und

entschuldigt

 

 


 

Sirene

Sie liegt mir weich
wie kaum ein Wind-
Hauch in den Armen Ohren
ihr Mund voll Glück und
Recht darauf und sieh
wie die Jahre ziehen fliehen
vor mir – und ihr – und dir
ist jedes Bett bequem
in deine feige Decke eingerollt
ist es zu eng für zwei
auf meinem Platz komm
streichle mich wo ‘s gut tut
deine Hände wissen längst
wohin dein Herz gehört
mein armer Schatz

Sie steckt mir wie ein Eiter-
Dorn im Magen morgen
früh bloß wie
spuck ich sie heim-
lich ohne Schmerzen
aus?

 

 


 

Nacht und Nacht

Für die Kinder
ist Nacht wenn die Mutter
die Läden schließt nach dem Märchen
vom goldenen Ring und dem “Ich bin klein”
und dem letzten Kuss auf die Stirn Für die Mutter
ist Nacht wenn sie wieder kein Aug’ schließt allein
mit den hundert Märchen im Ohr einer eisernen
Kette am Fuß und das Herz brunnen-
tief in den Händen vergraben

 

 


 

Versailles oder so

Sie sitzen bei kaltem
Braten und Krieg und der
Fernseher läuft irgendwo

Im Schlafzimmer droht
minutenlang Frieden
aus Erschöpfung aus Hunger

Versailles oder so

 

 


 

Unsichtbar

Unsichtbar
die elastische Schnur
zwischen Nabel und Nabel

unheilbar
überdehnt voller Gier
voll grimmiger Lust auf
den letzten Faden zerbissen
zerschlissen

und das Blut
das nach links und nach rechts uns
unstillbar unersetzbar
davon fließt

 

 


 

Stille Nacht

Die Nachttischlampe trennt schon lang
ihr Lager in zwei Betten
die Zeit kennt keinen Rückwärtsgang
sie hoffen noch sie hätten

Er denkt an dies – sie denkt an das
vielleicht sind ‘s Weihnachtslieder
ein Lächeln schwimmt im Zahnputzglas
zum Frühstück kneift es wieder

 

 


 

Abgeschaut

In immer tieferen Riffen versteckt
wie die neuesten Unterseeboote
sind wir fast unerreichbar geworden
viel schwerer verwundbar

Unsre Haut ist doppelt und dreifach und
minenabweisend gestählt – unsre eignen Geschosse
auch noch die leichtesten leichthin abgefeuerten stumpfen
spitzen sich zu unterwegs zu verheerend genauen Torpedos
angezogen vom Ziel

Die offene Schlacht steht noch aus – inzwischen
versenken wir einer den andern zur Übung
jeden Tag um ein winziges Stück

 

 


 

So wunderbar blutend

Wie setzen wir uns denn heute
die Krone auf, meine Liebe
dass sie die Dornen schön zeigt und
die leidende Stirn und das Haar
nicht zerdrückt nein ein bisschen
schräger vielleicht etwas weiter
nach hinten ja so und jetzt
wo ritzen wir uns das
mutige Fleisch, meine Teure
damit das Blut nicht gleich wieder
so kläglich gerinnt? Komm
ich zeig dir die Stelle ich kenn
dein Gewebe von innen und
außen so wunderbar blutend
so unversehrt taub

 

 


 

Spielend

Mit deinen rost-
überströmten Wangen
zur Abwehr gepanzerten
Brüsten dem eisernen Kinn –
komm
wisch dir die letzte
lebende Träne ab komm
stell dich zu mir
in den Stadtpark ins Lorbeerbeet
mitten zwischen die ewigen
Eichen da passen wir
spielend
noch hin

 

 


 

Rückblickend

Rückblickend
sahen sie die Strecke
wie auf einer übergroßen
Wanderkarte deutlich eingezeichnet –
jeden Weiler und jede Brücke
sahen sie hinter sich
jede Steigung und jede Enge
auf dem gegangenen Weg

Rückblickend
fanden sie die Stelle
wie mit einer groben Nadel
grausam in die Karte eingestochen
an der die Wege sich teilten:
der eine nach hier
und der andre nach dort –
ganz deutlich sahen sie ihn jetzt
jenen Ort auf der Karte

Rückblickend
fragten sie sich beide
wie es bloß geschehen konnte
dass der andre nach dort
und nicht auch nach hier –
und ob sich die steinigen Wege
wohl weiter vorne einmal
vor dem Abend vielleicht
von selbst
wieder träfen

 

 


 

Bitte komm

Bitte komm
und pass auf
wenn du kommst du zertrittst
mir immer die Blumen jetzt
blühen die schönsten die
letzten meine Herbstzeit-
losen. Wann kommst du?

Und sei leis’
wenn du kommst
lass die Schuhe im Flur du weckst
mir die träumenden
Bilder erschreckst sie
verscheuchst meine freund-
lichen Spinnen. Wann
kommst du?

Und mach kein
Licht wenn du kommst
du versengst mir die dünnen über-
weit ausgebreiteten Flügel die Fühler
den Atem du raubst mir
so roh meine schützenden
Schatten. Bitte komm. Bitte
bald. Mir ist kalt.

 

 


 

Karneval

Zwei lächelnde Masken
dahinter im Schatten
verborgen die Angst

Angst und Angst
verborgen vereint in derselben Gefahr: ein
Hornstoß des Herzens
genügt

 

 


 

Kurz gekreuzt

Zusammen
die heimlichsten Wörter gesucht
um das Brennen noch neu
zu benennen

Heimlich
die Worte zusammengesucht
um sich ohne neue Brand-
Wunden hinter der Brustwand
am Morgen zu trennen

 

 


 

Eine Hand

Eine Hand
die dich zufällig
grüßt eine Hand die dich
flüchtig berührt deinen Rücken
mit Raureif überzieht eine Hand die sich
nachts bei dir einschleicht sich neugierig umsieht
sich die wärmsten geschütztesten Nistplätze sucht und findet
erschrocken ein Herz

 

 


 

Späte Begegnung

Zwei hungrige Herzen be-
suchten einander mit so un-
glücklich entgegengesetzter Gewalt –
fast wären sie aneinander zersplittert so spröde
war ‘s Binde-Gewebe geworden so alt
so kalt

 

 


 

Falsche Adresse ?

Heim
kommen und kein
Licht im Fenster über
der Tür für dich im
Flur kein Laut

Heim
kommen und kein Abend-
Brot auf dem Tisch in der
Küche für dich keine
Zeitung kein Gruß

Heim
kommen und keine Menschen-
Seele nebenan die
dir sagen kann:
doch!

 

 


 

Verflossen

Wir haben in so vielen Körpern gelebt
ich würde dich nicht mehr erkennen
fänd’ ich dich hinter Gebirgen aus Zeit
ich müsste dich Rose nennen

 

 


 

Verregneter Herbsttag

Ordnung im Schreibtisch gemacht
Notizen und Zeitungsausschnitte sortiert
Marken aus gelblichen Briefen gerissen für künftige Enkel
den Rest der Kuverts in den Ofen gesteckt und die fliegenden Seiten
vorläufig wieder fein säuberlich
mit den blass-rosa Seiden-
Bändern verschnürt
für irgendwann

später