Es fing so zärtlich an

Sandspur

Hier
siehst du
hier sind wir gegangen
der schmalere Tritt das bist du
wir tranken den Wind mit den Wangen
und schauten dem Möwenspiel zu

Und hier
schau
hier werden die Spuren
auf einmal sehr eng und sehr leicht
als hätten wir einer dem andern
die Luft um zu atmen gereicht

Und hier
schau
hier enden die Schritte
als wären sie meerwärts entfloh’n –

Kann es sein
wir nahmen den Wind in die Mitte
und trugen einander
davon?

 

 


 

Doch noch

Kam
angelandet
ein Wort
das trug sehr viel Glut
in den Haaren

Wölfe erwitterten es
Stiere warfen Gebrüll übers Wasser
Käfer taumelten

Du
hingekauert wie irgendein
Tarntier und ich
wir beide verließen die Deckung
und spreizten
und spreizten
das Fell

 

 


 

Weißt du noch?

Weißt du noch damals unsre heilige Nacht?
Wir lagen gebündelt im Sand
wir schwiegen uns tief ineinander hinein
und hielten die Zeit in der Hand

Dein Mund und mein Mund bäumten sich auf
unsre Glut mit den Zähnen zu loten
und irgendwo hockte ein frierendes Tier
und leckte das Salz von den Pfoten

 

 


 

Nachernte

Komm
setz dich her
setz dich
was hast du getan
geerntet?

Stunden gefahren
Fuder um Fuder Zeit
in fremde Scheunen gebracht
und nicht bedacht –

Komm
setz dich zu mir
kämm uns die Halme
aus deinem Haar

 

 


 

Jugenderinnerung

Hier an dem See sind wir entlang gegangen,
das weiß ich noch, es ist zwar längst vorbei,
ich wollte ihr den Regenbogen fangen
und einen Käfer – schließlich war ja Mai

Ich wollte sie in bunte Watte betten,
es wurde nur ein Nest aus feuchtem Gras,
wir waren voller Sehnsucht und voll Kletten
und schwiegen innig über dies und das

 

 


 

Fliegende Fische

Weil der Meeresspiegel sich hebt
mit jeder Träne der Fische
unmerklich sagst du vielleicht aber
denk doch einmal an die vielen
die Millionen Abermillionen von
Fischen und Tränen und Tagen und Nächten
dann denk an die einsamen Krebse
die mutlosen Muscheln all die Menschen
in ihren elenden Hütten am Ufer und
schließlich denk doch egal
ob der Meeresspiegel sich hebt und wie hoch
schnell dich ab mach dich los –
komm wir fliegen!

 

 


 

Maikäferjahr

So
jetzt wären sie warm gehaucht
deine Flügel jetzt müssten sie tragen
alle reden von Maikäferjahr aber wann
und was dann – schwer zu sagen

Im schlimmsten Fall fliegen wir ohne herum
komm wir üben im Garten
lass uns Blätter in die Bäume träumen und

hoffentlich verpetzt uns keiner

 

 


 

Souvenir

Ich möchte eine große Schaufel nehmen
oder nein
ich möchte lieber mit den bloßen Händen
die warme Erde spüren sie durchpflügen
wie man vielleicht nach einer Quelle gräbt
und noch ein immergrünes Bäumchen pflanzen
oder nein
ich möchte nur ein kleines Zeichen setzen
das diese Sommertage
und uns beide
bestimmt um eine Weile überlebt

 

 


 

Fast achtzig Tage

Fast achtzig Tage hab ich dich umschmeichelt
die Seele und das schöne Zubehör
dann hab ich mich in dich hineingestreichelt
mit Glut im Mund Gespür und nach Gehör

Ich rollte deine süßen Schillerlocken
um meine Finger bis zum Morgenrot
zum Frühstück gab es Milch mit Haferflocken
und einen Rest Nutella® ohne Brot

 

 


 

Abends

Hülsen
überall Hülsen
von Worten der Inhalt
wie lang schon
entfloh’n

nur abends
tritt manchmal noch
eins
aus der Tarnung
das hebt uns
das trägt uns
davon

 

 


 

Keine Angst

In meiner schwachen Viertelstunde
mach ich aus Grau einfach Silber-
oder Aschblond oder Nachtschwarz
mit einem bläulichen Schimmer
vielleicht oder Kupfer – ja
warum nicht Kupfer oder
das leuchtendste Tizianrot? –
lege mir alles prächtig nein zierlich
fast schmächtig und rührend un-
schuldig zurecht wie ich ‘s mag und
wenn mir was fehlt keine Angst
das streichelt mein Mund
an dich hin

 

 


 

Dein letztes Wort

Satzzeichen
zwischen Stimme und Stille
vielleicht
schließt es leise den Kreis
vielleicht
treibt es gegendlos
zwischen den Räumen
vielleicht
gräbt es Gänge –
wer weiß?

 

 


 

Knitterprobe

Komm wir probieren
die zärtlichsten hundert Da-
vornamen an

wie sie dir stehen
fallen im Drehen im
barfuss auf Zehenspitzen Gehen –
im Niederbücken vertrauten Zusammen-
rücken im Plaudern Schweigen Träumen am
heimlich verglimmenden Feuer im seligen
Nehmen und Geben
Erleben

ob sie die
erste die längste
Nacht zwischen Kissen
und Küssen knitter-
frei übersteh’n

 

 


 

Ganz nah und bereit

Reck deinen Hals
dehn deine Sehnen
streck deine Arme
möglichst bis zum Himmel

und jetzt entspann dich

lass Kopf und Schultern
langsam wieder sinken
lass deine Brüste leicht
in ihr Zuhause finden

hab keine Angst
ich stehe hinter dir
ganz nah und
bereit

 

 


 

Stechbereit

Immer stechbereit
unser Herz wie der Stachel
des kleinen schwarzen Skorpions

immer stechbereit
aus Lust an der Angst
oder Angst vor der Lust

vor
der Lust
sticht es zu

 

 


 

Ich sagte du zu dir

Ich sagte du zu deinen Augen-
Lidern Lippen Ohren Nasenflügeln
wir gingen Brust an Brust
wir lagen Hand in Hand und Schoß
in Schoß

Ich sagte du zu dir vieltausend Male
hab ich dich nicht erkannt und
hab ‘s gewusst und
kam nicht von dir los

 

 


 

Spur im Zement

Schau
diese Pfote da
diesen Abdruck von keiner Kelle
geglättet von keiner Kralle zerkratzt
unverwischt wie in Stein ein-
graviert

Stell dir vor
die hat ein Kätzchen
vor hundert Jahren vielleicht
ins noch weiche Zementbett gedrückt
hat es heimlich für immer
signiert

Und stell dir vor
es käme heut Nacht jemand
noch so leicht und leise herangefedert
und fände dein Herz aus Versehen
unabgesperrt und grade frisch
betoniert

 

 


 

Wie Kirsche und Wurm

Aber ja
wir waren uns einmal sehr nah ich weiß
wie es enger nicht geht vertraut
ein Axthieb hätte uns beide gefällt
wir lebten in einer Haut turm-
hoch zuoberst im sonnigsten Baum
in jenen Frühsommertagen
wir liebten einander
wie Kirsche und Wurm –

Wer war Kirsche wer Wurm?

Du immer mit deinen Fragen …!

 

 


 

Wie es muss

Kurz vor dem Über-
kochen frag ich mich
blitzschnell was mach ich:

Geh ich auf klein
mit dem Gas oder
dreh ich ‘s nicht besser
gleich ganz ab

oder heb ich den Deckel
vielleicht einen Spaltbreit
lass vorsichtig Dampf usw.

oder beiß ich mir auf die
Lippen verbrenn mir
womöglich die Finger und
gieß mir unter dem Hahn
ein zwei Schluck oder so
kaltes Blut nach?

Inzwischen passiert ‘s
wie es muss
und wieder mal bin ich für Stunden
am Boden vor dir und
scheuer mir scheußlich
das Herz wund

 

 


 

Dieses Lächeln

Doch
es gibt es noch
dieses Lächeln
so halb und halb
ein bisschen scheu
mit einer Hand
verdeckt –
es hat sich bloß
dieses Lächeln
so nach und nach
vor lauter Scheu
in deiner Hand
versteckt

 

 


 

So möchte ich sterben

Mitten im
Sommer nackt
auf einem warmen
runden Felsen auf dem
Rücken liegend und ein Blitz
schlüge mir in die höchste
Stelle des Körpers – so
möchte ich sterben
von abends bis
morgens
mit dir

 

 


 

Wehe!

Wehe du stopfst mir
auf einmal die Socken die
Pfeife zum Lesen ein Kissen
ins Kreuz

und wehe du bringst mir
auf einmal das Frühstück die
Schäfchen zum Schlafen die Tropfen
ans Bett

und wehe du drückst mir
auf einmal die Daumen ein
Lächeln zum Abschied den Mund
auf den Mund!

 

 


 

Mit einem Krug voll Stunden

Mit einem Krug voll Stunden
so kamst du zu mir
und ich deckte den Tisch
für uns zwei

Erst die großen Humpen
die buntbemalten
mit den übermütig geschwungenen Henkeln
denn wir waren jung
maß- und sorglos in unsrer Ungeduld
und verschütteten sicher nicht wenig

Dann die vertrauteren handlichen Becher
um bei jedem Schluck
den vollen Geschmack
mit dem Mund zu umschließen

Schließlich die zierlichen dünnwandig geschliffenen Gläser
um ja nichts von dem flüchtigen Rest zu vergeuden
nicht einen Tropfen

Jetzt ist kein Gläserpaar mehr klein genug
komm ins Haus es wird kühl
lass uns würfeln

 

 


 

Der Alte

Er zählte nichts mehr – außer seinen Stunden
und machte einen Strich für jeden Tag
er hatte sich wohl damit abgefunden:
dies war das letzte Bett in dem er lag

Er starrte an die hohe Zimmerdecke
die Fenster hatte man ihm zugehängt
er war am Ende einer langen Strecke
und fühlte sich zur letzten Tür gedrängt

Er hörte nur noch flüsternd seinen Namen
man sprach von ihm in der Vergangenheit
doch wenn die langen Abendschatten kamen
dann träumte er von seiner Jugendzeit

Er sah sich hinter einer Hecke stehen
mit einer welken Rose in der Hand
er wartete auf ihr Vorübergehen –
und lächelte als man ihn morgens fand